Sonntag, April 23, 2006

(41) Konstruktivismus I (LRM2)

Nach den ersten beiden Kapiteln ("Ausdifferenzierung als Verdoppelung der Realitität" und "Selbstreferenz und Fremdreferenz") stellen sich zwei ineinandergewobene Stränge im Buch heraus:


1.) Theorie - Es findet eine Darstellung und Auseinandersetzung mit systemtheoretischen Begrifflichkeiten statt. Die Form der Erkenntnisgewinnung wird mitreflektiert und läßt ersichtlich werden, mit welchen Instrumenten die, bei mir unter 2.) aufgeführten, Erkenntnisse gewonnen wurden. Die Systemtheorie nimmt ihren Ausgang (einen von mehreren) im (Operativen) Konstruktivismus.
2.) Massenmedien - Was sie sind, wie sie beobachten und welches ihre Funktion(en) sind, dies wird hier unter den unter 1.) beschriebenen Voraussetzungen dargestellt.

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Zu 1.) Luhmann legt sich darauf fest, Erkenntnistheoretisch auf der Schiene konstruktivistischer Theorie zu fahren. Das bedeutet zunächst einmal, dass ein "Wahrheitsbegriff" nur im Sinne von "Wahrheit für einen bestimmten Beobachter" gedacht werden kann, was zur logischen Schlussfolgerung führt, dass die Frage des "Manipulationsverdachts" gegenüber den Massenmedien in der folgenden Forschung nicht zur Debatte steht.

In der Systemtheorie werden ja bestimmte Systeme mit Hilfe der "{System ] Umwelt} - Differenz" unterschieden und dann immer mit Blick auf das System beobachtet (siehe A1). Das System selbst beobachtet alle Ereignisse die es beobachtet - und es beobachtet diese selbst. Wenn das System "menschliches Auge" einen grünen Baum beobachtet, dann beobachtet es diesen allerdings so, als wäre dieser "grüne Baum" außerhalb von ihm selbst vorhanden. Dem liegt aber - unter bestimmten Beobachtungspunkten - eine Täuschung zugrunde. Diese Situation mit physikalischen Hilfsmitteln beobachtet läßt zu dem Schluss gelangen, dass das menschliche Auge Lichtwellen wahrnimmt, die vom Baum abgestrahlt werden, und diese "Lichtwellen" werden vom Gehirn in "grün" umgerechnet. Nicht der Baum ist grün, sondern die Errechnungen des neuronalen Netzes liefern das Ergebnis "grün". Mit dem Baum "an sich" ist es wahrscheinlich ähnlich. Auch sein Bild vor unseren Augen ist das Resultat von kognitiv verarbeiteten Umweltirritationen. Warum wir gerade ihn als solchen wahrnehmen ist vermutlich ein Konglomerat verschiedenster Faktoren. Ein schönes Beispiel ist, so finde ich, dass von dem "Naturvolk", welches keine 90° Winkel wahrnimmt, weil sie diese aus ihrer "natürlichen Umwelt" überhaupt nicht kennen, bis man sie explizit darauf hingewiesen hat.
Nun gut, es werden aber trotzdem von System manche Ereignisse als "Innersystemisch" (ich sehe das Bild so schlecht, weil ich Tränen in den Augen habe) und andere als "Umweltverursacht" (es ist dunkel, darum sehe ich nichts) wahrgenommen. Für ersteres wird der Begriff "selbstreferentiell", für zweiteres der Begriff "fremdreferentiell" verwendet. Diese Unterscheidung kommt aber trotzdem nur innersystemisch vor (siehe A2) und NICHT in der Umwelt.
Es lassen sich 2 Folgen ableiten:
a.) Es besteht kein Zweifel, dass eine Umwelt existiert. Immerhin kommen Irritationen rein ins System, von denen nicht ganz klar ist, was sie "wirklich" sind.
b.) Diese Umwelt, und damit die Welt, verbleibt praktisch als Horizont, also als unerreichbares, immer mitlaufendes.
a und b zusammen ergeben, dass die Realität konstruiert werden muss und zwar durch systeminterne Kognitionen. Die Realität ist ein inneres Korrelat von Systemoperationen, die interne Sinngebungen darstellen. Diese Realitäts- und Sinnkonstruktionen müssen aber fortlaufend, externen Einflüssen ausgesetzt, ihre Brauchbarkeit beweisen und Konsistenzprüfungen bestehen. Mögliche Inkonsistenzen werden durch andere Konstruktionen ersetzt - und sei es durch das Wissen um Nichtwissen.
Aus dem vorhergegangenen lässt sich leider dann keine generalisierbare Aussage über Realität mehr gewonnen werden. Und nun stellt sich für den Soziologen das Problem, wie Realität als Realitätskonstruktion beschrieben werden kann?
Dazu wird in der Systemtheorie eine systemspezifische und an der Funktion von Strukturen der Systeme orientierte Beobachterposition eingenommen, die sich selbst permanent mitreflektieren muss. So lautet bzgl. der Massenmedien die Frage: Wie konstruieren Massenmedien ihre Realität und unter welchem Funktionsprimat tun sie dies? Und mit welchen Begrifflichkeiten, kann man dem auf die Schliche kommen?

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