Montag, April 10, 2006

(22) Philosophischer Einstieg IV (BEJ20)

zu 2.1) Boventer greift den Primat der Empirie in der modernen Wissenschaft streng an. "Das strenge Regime der empirischen Methode lässt aber nur jenes Wissen zu, das ihr wissenswert und –würdig erscheint, und somit wird eine Erkenntnis von den Phänomenen begünstigt, die nur interessiert, worauf sich eben ihr ganz spezifisches Erkenntnisinteresse richtet. Die menschliche Erfahrung, die diesem Wissen das Material liefert, wird unzulässig verkürzt und auf eine positivistische Engführung gebracht.
Im Gegenzug dazu wird der [Erfahrungsbegriff] in Stellung gebracht. Alle menschliche Erkenntnis, dafür steht er, ist immer nur die Analyse unserer Erfahrungen. Alle Wissenschaft geht aus der Lebenspraxis hervor und ist zugleich auch letzten Endes für sie vorgesehen.
Dilthey spricht vom unüberholbaren Wert des Menschen: „Wie unermesslich wichtig unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse auch in diesem Zusammenhang sind: der Mensch selber reicht doch über sie hinaus und bestimmt ihnen ihre Stelle und ihren Wert.“
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zu 2.4) Da Menschen Einbrüche an tragender Orientierung und Tradition als persönliche Sinn- und Weltkrise erleben, hat derjenige der solche herbeiführt auch Verantwortung dafür zu übernehmen.
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zu 2.5) Eine Sinngebung enthält immer auch schon eine ethische Option, die dem freien Wollen und Planen entspringt, etwas so zu tun und nicht anders. Religion bezeichnet die in einer Kultur eingeschmolzenen Sinngebungen und Wertmuster. Etymologisch ist die Religion dasjenige, was die Dinge „Zusammenbindet“, dem Leben einen Zusammenhang gibt und einen Vorrat an Sinnmustern. Der Wille zum Sinn liegt in den Deutungsmustern der Kultur.
Aristoteles umfassende Seinsbejahung: „Das Sein gilt allen als ein wählens- und liebenswertes Gut“ zeigt die Prohairesis, jenes Wählen des Menschen, dem das Sein immer schon vorausgeht und deren Sinn imTreffen der Wahrheit“ besteht, in dem inneren Ja und Nein zum Sein, dass sich zur Handlung veräußert und sie in Bewegung setzt, „nicht wie der Stoß die Kugel, sondern wie der Entwurf des Baumeisters das Bauen“. In diesem Entwurf liegt aber zugleich auch die Bestimmung des Endes, die Prohairesis an ein gegebenes „Telos“ festzumachen als ein zu verwirklichendes Gutes, suchend und erwägend die Wahl zu treffen und damit die Handlung hervorzubringen.
Das Handeln muss situations- und seinsgerecht sein, es muss ein abwägendes und auf die Bedingtheiten ausgerichtetes Handeln sein. Klugheit als die erfahrungsgesättigte Fähigkeit, gut Erwägen zu können, lässt uns die aristotelische Ethik als eine Klugheitsethik charakterisieren, die sich auf das Erwägen versteht und sich auf die Dinge einlässt. Ethik kann nicht unbeteiligt getrieben werden. Man muss sich selbst, die eigene Erfahrung und Existenz, immer schon mit einbezogen haben. Wissen auf Abstand ist für das Ethische kein gutes Klima. Die „Richtigkeit“ liegt in uns selbst. Helligkeit und Schärfe des ethischen Urteils kommen aus dem Leben und der Wirklichkeit.
Jonas: „Wenn es um Ethik und Sollen geht ist es nötig, sich auf die Theorie der Werte, oder vielmehr die Theorie von Wert überhaupt einzulassen, von dessen Objektivität allein ein objektives Seinsollen und damit eine Verbindlichkeit zur Seinswahrung, eine Verantwortung gegen das Sein, abzuleiten wäre“. Es schreibt, dass man sich „den gewagten Ausflug in die Ontologie nicht ersparen“ kann, selbst wenn der Boden, den es zu erreichen gilt, „wohl immer über einem Abgrund des Unerkennbaren hängen mag“.
Werte sind nicht, sie gelten, und so sind auch die Zwecke (oder Ziele), warum eine Sache existiert oder wozu eine Handlung dient, nicht reale Gebilde, sondern ein objektives Geltendes.
Sinn hat etwas mit der Richtung zu tun. Wir bewegen uns im Bereich der Warum-Fragen nach Ziel und Grund, nach Woher und Wohin, wodurch die Wirklichkeit als ein So-Seiendes bestimmt ist und auf einem Möglichkeitsgrund aufruht, warum ein Seiendes so und nicht anders vorkommt, was dann letzten Endes in die Frage einmündet, warum etwas ist und nicht nichts ist. Was immer mit dem Gedanken des „Sinnes“ verknüpft wird, hat etwas mit dem Sein zu tun, nicht mit dem Nichtsein. Das Sein will anerkannt und angenommen, bejaht, sein, weil es das Gute ist.
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zu 2.6) Vernunft und Moralität sind die Grundpfeiler, auf denen das zerbrechliche Haus der Demokratie gegründet ist. Eine Moral die nicht von der Einsicht in ihre Gründe und Zwecke begleitet ist, legitimiert sich als Handlungswirklichkeit dadurch, dass sie sich bewährt hat. Sie ist aber zugleich auch immer Handlungsentwurf für ein Zukünftiges, das noch zu leisten ist und wie es sein soll. Die Moralität tritt uns hier in den Maximen des praktischen Handelns entgegen. Post-Nietzsche ist es allerdings nicht mehr möglich eine Sittlichkeit zu postulieren, die ihre Normen nicht dauernd einer kritischen Überprüfung unterzieht, inwieweit sie logisch und funktional begründbar sind. Nietzsche: „Moral predigen ist ebenso leicht als Moral begründen schwer ist.“
Geltungsgründe, die als ein Wissen im Logos das Handeln des Menschen erst zu einem wahrhaft menschlichen machen, müssen in einem umfassenden Sinn vorgebracht werden und ihren Ausgangspunkt von der Freiheit des Menschen zur Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten nehmen. Das Handeln, das die Wahl in Bewegung setzt und wozu ein Entwurf geliefert wird, muss ein freies und „wissentliches“ sein. Sonst ist ein verantwortlich machen nicht möglich. Aristoteles zeigt Handeln als ein zielgerichtetes, das stets daran zu messen ist, worum es in diesem Geflecht der Praxis überhaupt geht, dass es nämlich eine Praxis für ein geglücktes Menschsein ist.
Die Theoria dagegen ist die Entbergungsform für das Seiende im ganzen: das Geistige.
Mit „ethisch“ oder „sittlich“ wird der inhaltliche Aspekt bezeichnet, mit „Moralitätunabhängig vom Inhalt die Gewissenhaftigkeit des Handelns meint.
Nur durch die Sprache, durch die Reziprozität seines Sprachvermögens, das sich in der Kommunikation mit anderen ausbildet, erwirbt der Mensch reflexiv seine eigene Identität und somit die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, die wir gemeinhin als Freiheit bezeichnen und woraus sich die Möglichkeit ergibt, sich entscheiden und sittlich handeln zu können.
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zu 2.7) Der Mensch ist ein Wesen, das Vernunft und Sprache hat, aristotelisch: Logos. Die besondere Leistung des Logos liegt „im adäquaten Zur-Erscheinung-Bringen des Seienden und seiner Gründe“. Mit der Frage nach dem Sein verbindet sich die Frage nach dem Sinn von Sein. Ethik und Ontologie gehören zusammen; eine Ethik ohne den Rückbezug auf die Seinsverbundenheit des Menschen geht ins Leere. Im „communicare“ des Gesprächsmodells konkretisiert sich die Moralität der menschlichen Person gegenüber.
Der Mensch ist das auch einzige Wesen, das sich zum Ganzen seines Dasein verhält und es zu denken versucht. Aber dieses Denken ist ein engagiertes Denken. Der Geist, der das Ganze und der deshalb den Zweck des Handelns denkt, ist selbst Teil dieses Handlungsganzen. Er beeinflusst und verändert also dieses Ganze, indem er und je nachdem wie er es denkt.“
Rombach meint, dass die Grundform des Daseins weder Individualität noch Sozialität, sondern die strukturelle Einheit beider ist. Jede Kommunikationsform verlangt ihr eigenes Subjekt. Ein Schachspieler bspw. muss sich erst wieder in die Subjektform zurückholen, die einer geselligen Feierlichkeit angemessen ist.

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