Dienstag, März 17, 2015

Sind hier wirklich alle auf Salat?

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Bio- und Veganhype als Greenwashing unserer Ernährungskultur 

Es sind unter anderem Aussagen wie „Bio ist keine Nische mehr“ oder „Bio ist zur Massenbewegung geworden“, die den Eindruck entstehen lassen, die Ernährung mit Lebensmitteln aus ökologischem Anbau sei längst esskultureller Standard. Wenn auf dem im Februar in Nürnberg stattfindenden größten Bio-Kongress  der Welt, inklusive Fachmesse, der Biofach, die neusten „Zahlen, Daten, Fakten“ zum Biomarkt vorgestellt werden, dann ist das eine nicht enden wollende Laudatio auf einen scheinbar ungebremsten Wachstumsmarkt mit Post-Wachstumsökonomie-Anspruch: „Bio wächst“ hört und liest man allerorten, und das sei auch gut so, denn „bio aus Deutschland ist nicht nur für die deutsche Landwirtschaft gut, sondern auch für Umwelt, Natur und Klima“, so Landwirtschaftsminister Christian Schmidt.  Da geht es fast ein bisschen unter, dass auch darauf verwiesen wird, dass „das Potential noch lange nicht ausgeschöpft sei“. Um wieviel Potential handelt es sich dabei denn eigentlich?

Die Frage lässt sich schnell beantworten: Um ziemlich viel! Ja, es ist richtig, dass der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln seit Jahren immer weiter wächst. Ja, es ist richtig, dass die ökologisch bewirtschaftete Gesamtfläche in Deutschland ebenfalls gewachsen ist. Und dass trotz nicht weniger Rückumstellungen von biologische auf die sogenannte konventionelle Landwirtschaft auch die Zahl der Biobetrieb noch einmal zugenommen hat. Wenn jedoch Wachstumskennziffern von 4,8 Prozent genannt werden, dann muss man sich vor Augen halten, dass es nicht 4,8 Prozent vom gesamten deutschen Lebensmittelmarkt sind. Es handelt sich um 4,8 Prozent von dem bisher schon durch Bioprodukte gedeckten Anteil. Der liegt beim Gesamtlebensmittelmarkt von Deutschland bei 3,7 Prozent! Über 96 Prozent des Lebensmittelmarktes werden also von Nicht-Bio-Produkten bestritten. Bio schrumpft aus dieser Perspektive sehr schnell von einem Scheinriesen der Massenbewegung zurück zu einem Nischenzwerg, der vielleicht kräftig und stabil, aber vor allem eins ist: nämlich klein

Ein anderer ernährungskommunikativer Hype, der in den letzten Jahren in einer Art Redespirale aufgewirbelt wurde, ist der um vegetarische beziehungsweise vegane Ernährungspraktiken. Die Thematisierung einer Ernährung die weitestgehend auf tierische Produkte verzichtet, ist so omnipräsent, dass man meinen könnte, wer noch Eier oder Fleisch isst, am Ende gar täglich, gehört zum störrischen Teil einer beratungsresistenten Essminderheit. Und war nicht sogar das vegane Kochbuch des charismatischen Esscoachs Attila Hildmann  2013/14 auf Platz 1 der Bestsellerliste des Kochbuchmarktes? In den Bahnhofsbuchhandlungen liegen hohe Stapel Veggie-Magazine und wer mit einer Bratwurst in der Hand oder beim guten Italiener mit einer klassischen Lasagne erwischt wird, bekundet sofort, er sei eigentlich Flexitarier, ernähre sich also im Grunde fleischfrei, nur ganz selten, zum Beispiel eben jetzt, esse man schon mal ein ganz kleines bisschen Fleisch. Und steigt nicht der Umsatz mit vegetarischen und veganen Produkten beständig? Ja, tut er. Nur scheint es ein zusätzlicher Markt zu sein, der hier entstanden ist. Der Fleischkonsum mag nämlich nach einem krassen Höchstwert in der zweiten Hälfte der 1980er deutlich zurückgegangen sein, in den letzten Jahren hat sich der Absatzmarkt für Fleisch allerdings ziemlich stabil eingependelt, ein zaghafter Rückgang von zwei Kilogramm pro Person ließ sich 2013 erkennen. Das kann aber durchaus eine der üblichen Schwankungen sein. Blickt man über die Landesgrenze in Richtung Schweiz, wo der kommunikative Bio- und Veganer-Hype ebenfalls unübersehbar ist, konnte man etwa lesen, dass der Fleischkonsum 2013 um ein Kilo pro Kopf wieder angestiegen ist, global ist das sowieso der Trend. Und die Fleischproduktion in Deutschland erreichte, nach drei Jahren in denen ein Rückgang zu verbuchen gewesen ist, 2014 einen neuen Höchststand. Dazu passt, dass auf das vegane Lehrbuch von Hildmann sogleich Weber’s Grillbibel auf Platz 2 der Charts folgte. Es kauft eben nicht nur das eine Prozent der Bevölkerung, das sich selbst als Veganer einstuft – den Forscher juckt es in den Fingern, sich den realen Essalltag jenseits der Selbsteinschätzung anzuschauen – Kochbücher, sondern auch die anderen 99 Prozent, wenngleich die durch ererbte Kochbücher oder Internetplattformen vielleicht bereits mit Grundrezepten einer omnivoren Ernährung versorgt sind.

Es ließen sich noch zahlreiche Beispiele aufführen, warum es sich um soziokulinarische Fata-Morganen handelt, wenn von fleischlos-grünen-Essbewegungen der „Masse“ die Rede ist. Da gibt es Zeitungsartikel mit der Überschrift „Mit veganer Fröhlichkeit gegen Zweifler und Nörgler“, aber darunter wird lieber doch ein Rezept für „Knusprigen Fisch“ zum nachkochen empfohlen. Und dass sich der Ernährungswandel einfach sukzessive über die jüngere Generation durchsetzt, das bezweifeln nicht nur wissenschaftliche Studien, die keinen Zusammenhang zwischen Alter und bio- oder veganem-Einkaufsverhalten sehen. Auf Youtube zählt 2014 ein Musik-Video über 9 Millionen Zuschauer, in dem zwei Rapper behaupten, dass „vom Salat der Bizeps schrumpft“ und fröhlich eine proteinreiche Ernährung mit Fleisch feiern, nicht unähnlich einem anderen Ernährungstrend der letzten Jahre, der Paleo-Diät. Die Gesellschaft für Konsumforschung wies zuletzt darauf hin, dass 85 Prozent der Deutschen Fleischessen als „selbstverständlich und naturbewusst“ empfinden und 83 Prozent wollen den Fleischkonsum auch keinesfalls reduzieren. Veggiewende? Naja.

Was kann man nun für eine gesellschafswissenschaftliche Analyse aus der beobachteten  Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdthematisierung  und tatsächlich praktizierter Ernährungspraxis anbieten? Da nicht alle kommunikativen Akteure des bio-veganen Ernährungsdiskurses ein ökomisch-betriebswirtschaftliches Interesse am Boom dieser Ernährungsstile haben, muss über ein Selbstmarketingkonzept hinaus gedacht werden. Es liegt der Verdacht nahe, dass hier eine Form des kommunikativen Greenwashings betrieben wird. Denn fraglos gibt es sehr wohl gute Gründe für eine Ernährung, die stärker auf Produkte aus biologischem Anbau zurückgreift. Zuvorderst wären diesbezüglich die reduzierten, externalisierten Umweltkosten zu nennen, die im Ökolandbau eingespart werden, sowie die stärker auf das Tierwohl bedachten Haltungsbedingungen. Dass das Mensch-Tier-Verhältnis in der industriellen Landwirtschaft an etlichen Stellen bedenkliche Formen angenommen, lässt sich kaum mehr ignorieren. Das soll nicht heißen, dass jeder konventionelle Bauer ein böser Massentierhalter ist. Aber die nun mal auch wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse, dass Schweine, Rinder oder Hühner nicht nur dumpfe Biomasse sind, sondern durchaus über  eine weitergehende Intelligenz und kognitive Fähigkeiten verfügen, macht die Sache auch für das Selbstverständnis des Menschen als Menschen kompliziert. Für eine Ernährung mit zumindest reduziertem Fleischanteil spricht ferner, dass die Fleischproduktion sehr ressourcenintensiv und zudem gesundheitlich, wie auch in vielen Fällen kulinarisch zweifelhaft ist. Lauter gute Gründe, doch der Wandel der Praxis zeigt sich zäh und widerspenstig.

Das ist kein Wunder. Bio-Lebensmittel etwa sind deutlich teurer als diejenigen aus konventioneller Produktion. Der Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) fordert nun unentwegt, die Preise für konventionelle Produkte müssten die externalisierten Kosten widerspiegeln und teurer werden. Sicher, das würde die Preisspanne ausgleichen – und mächtig ins Kontor von Millionen begrenzter Haushaltsbudgets schlagen. Fraglos, Lebensmittel sind in Deutschland vielfach günstiger als im Ausland, aber Geld kann auch in Deutschland nur einmal ausgegeben werden. Müssen die Verbraucher auf einmal hunderte Euros im Jahr mehr für Essen und Trinken ausgeben, werden sie zwangsläufig irgendwo anders sparen und womöglich Zeitungsabonnements kündigen, und damit den qualifizierten Journalismus weiter gefährden, aus Vereinen oder Parteien austreten, weniger Kultur- und Sporteinrichtungen besuchen und so weiter und so fort. Dem Argument, dann sollten sich die Menschen einfach nach den mehr puristisch-gesundheitsbewussten Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) anstatt quantitativ-genussorientiert ernähren, darf man allerdings entgegenhalten, dass sich Ernährungsverhalten nicht einfach mit moralischen Reden und komplexitätsreduzierten Übersichtspyramiden ändern lässt. Die Ernährungspraxis ist eine der verkörperlichsten Handlungsroutinen der Menschen überhaupt und sie ist massiv mit der Lebensstilkultur sowie der sozialen Identität von Personen verbunden.

Wollte man einen wirklichen massentauglichen Ernährungskulturwandel in Richtung Bio und fleischreduzierter Kost in der Bevölkerung fördern, müsste man an sehr viel schwierigeren, makropolitischen Stellschrauben drehen: der Einkommensentwicklung und der Bildung. Damit korreliert ein reflexiver, umwelt- und gesundheitsorientierter Ernährungsstil nämlich ganz erheblich. Wohl auch, weil dies die relativ umständliche habituelle und zumeist auch kostenintensive Umstellung begünstigt. Solange man dies aber nicht tut, sondern anstatt auch kritisch-konstruktive Stimmen anzuhören, lieber auf den gestiegenen Konsum von Bio-Eiern verweist, während fast das gesamte Rindfleisch aus konventioneller Haltung konsumiert wird, solange handelt es sich bei dem kommunikativen Hype um bio- und vegane Ernährung um einen grünen Anstrich, den sich die Gesellschaft in Bezug auf ihre Ernährungskultur gibt, die in ihrer Ernährungspraxis weiterhin durch und durch konventionell is(s)t.



1 Kommentar:

MarieB. hat gesagt…

Danke für die gute Zusammenfassung und die Bezüge zur Empirie! Tatsächlich ist vielen gänzlich unbekannt, wie wenig bislang vegan und bio gegessen wird. Den Finger nicht in die Wunde legen zu wollen, wäre ein fataler Irrtum!