Samstag, Februar 07, 2015

Pizza im Briefkasten – Onlinemarkt für Lebensmittel

Es gibt neue Geldspritzen des Investors Oliver Samwert für die Essensbestellplattformen Lieferheld.de und Pizza.de. Wie auf anderen Marktsegmenten, zum Beispiel für Bücher, Fashion, Elektrogeräte et cetera, wird auf ein erhebliches Wachstumspotential bei Online-Einkäufen von Lebensmitteln und Speisen auf dem deutschen Markt spekuliert. Dafür gibt es sehr gute Gründe, die jedem ersichtlich sind – von Arbeitsteilung und Bequemlichkeit bis hin zu kluger Zeitökonomie ist alles dabei. Zudem gibt es vergleichbare Unternehmen mit einem Umsatzplus und Expansionsstrategie bereits in anderen Ländern. Also alles so sicher, wie der Standardburger bei McDonald’s?

Jein. Ernährung ist kompliziert, und zwar so kompliziert, dass es komplex wird. Und das betrifft nicht nur Proteine. Ein gravierender Unterschied zu den anderen aufgezählten Konsumgütern liegt darin, dass sich Konzepte aus anderen Ländern in Bezug auf Essen und Trinken nicht so einfach standardisiert globalisieren lassen. Selbst McDonald’s stößt da gerade an seine Grenzen. „Konsolidierung statt Expansion“ heißt das dortige Jahres- womöglich gleich Jahrzehntmotto.

Die Ernährungskulturvielfalt ist einfach (oder auch nicht so einfach) um ein vielfaches größer, als die von Elektrogeräten, auch die Buchdruckkultur - unabhängig vom Inhalt der Bücher - ist weltweit weitestgehend diegleiche. Fraglos nicht total standardisiert. Aber das Buch als mediales Format ist viel redundanter sowie temporal stabiler als Speisen. Die Halbwertszeit von nutritiver Identität und kulinarischer Konsistenz ist selbst schon bei Trockenfleisch fluide, regionalisiert (was auch in einem hochmodernen Sinne von autarken räumlichen Einheiten getrennt gesehen werden kann) und sehr instabil, also dramatisch vergänglich. Bei Pizza, Gänsestopfleber und Veggieburgen nimmt das ganze kaskadenartig verschachtelte kaleidoskopische Formen an.

Der Appetit der Essenden kann sich schlagartig verändern und im Gegensatz zu Büchern oder Fashion, können Lebensmittel in vielen Fällen dann doch nicht einfach in den (Gefrier-)Schrank gehangen oder umgetauscht werden, vor allem nicht, wo ein Attribut wie „Frische“ eine so wichtige Rolle zu spielen begonnen hat. Und „Frische“ ist nur ein Punkt unter vielen verschiedenen, sich in zahlreichen Fällen widersprechenden, Attributen, die unterschiedlichste Ernährungskulturen in ihre Paradigmen eingeflochten haben: Authentizität, Geschmack, Gesundheit, Nachhaltigkeit, Natürlichkeit und so weiter und so fort. Diese Attribute sind der Treibstoff gastronomischer Hyperkomplexität.

Auf der anderen Seite ist das Potential der Geschäftsidee, wie bereits gesagt, einleuchtend. Allerdings sollte der Vergleichspunkt nicht der bisher thematisierte Konsumgütermarkt sein, sondern das Nächstliegende, an soziokultureller Komplexität und heiklen Schema ähnlichste Segment ist das der Dienstleister für Partnersuche und Liebesdienste im Netz. Denn Wollust und Völlerei liegen nicht nur in Dantes Höllenkreisen eng beieinander, sondern bereits auf Erden. Beide sind sie jedoch vielfältig binnendifferenziert. Das macht Beobachtungen, im speziellen von beobachtenden Beobachtern die Essbares von Nicht-Essbarem unterscheiden, ungemein plausibel. Sofern man das Büffet an Aussagen die sich am Prognoseintervall lümmeln einschränken – komplexitätsreduzieren – möchte.