Montag, März 26, 2012

Landwirtschaftliche Produkte als Investitionsobjekte

Am  24.3.2012 bereits in der Printausgabe der FAZ und nun auch Online verfügbar ist ein Interview ("Die Preise für Agrarrohstoffe geraten unter Druck") mit der gefragten Marktanalystin Kona Haque. Sie ist bei der Investmentbank Macquarie verantwortlich für den Bereich Agrarrohstoffe sowie Agrarindustrie und ein gern gesehener Gast in dementsprechenden Formaten bei Bloomberg & Co.

Das Interview ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich landwirtschaftliche Erzeugnisse völlig in ökonomische Parameter transferieren lassen, wenn man sie anstatt unter der Perspektive des Ernährungssystems einfach unter dem Aspekt analysiert, wie sehr es ihnen unter marktwirtschaftlichen Besitzverhältnissen gelingen wird, Zahlungen (oder eben "keine Zahlungen") zu bewirken.

Interessant ist bei diesem Interview vor allem auch der Subtext, also das was gesagt wird wo nichts oder etwas anderes gesagt wird, der Bedeutungshorizont aber bestimmte sinnhafte Schlüsse, wenn auch nicht kausal, nahelegt.

So wird davon gesprochen, dass "die Landwirte [...] hohe Gewinne erzielen [konnten]", gemeint ist aber selbstverständlich nicht "der Landwirt" sondern die Händler landwirtschaftlicher Produkte, eventuell die zentralen Global Player der Agrarindustrie. Die meisten Landwirte - zumal weltweit - sind heutzutage Abhängige von der ihnen übergeordneten globalen Agroindustrie. Sie befinden sich also entweder in direkten Angestelltenverhältnissen oder, wie in vielen europäischen Ländern, in einer Art subventionsabhängigen Scheinselbstständigkeit.

Man kann während des gesamten Interviews sehr gut mit-bemerken, wie Ernteausfälle, überalterte Pflanzen oder hinter den (möglichen) industriellen Standards hinterherhinkende Produktionsformen gar nicht als dramatisch (in Bezug auf das eigentlich drängende Welthungerproblem), sondern als (erfreulicherweise) preistreibend eingestuft werden. Zudem wird der Kapitalmarkt noch einmal darauf hingewiesen, wie die Agrarrohstoffe noch wertvoller werden können: Indem die Konsumgewohnheiten der Verbraucher hin zu einem aufwändigen Lebensstil konditioniert werden, wobei gar nicht so sehr das primäre Bedürfnis (Fleisch; Süßspeisen etc.) die großen Gewinnmargen beschert (obwohl auch die auch dort schon sehr hoch sind, dank der Diskrepanz zwischen Preis und Qualität der Lebensmittel), sondern die Produktion auf der Hinterbühne die eierlegende Vollmilchsau für den Kapitalmarkt ist:
 "Die Weltbevölkerung wächst, der Wohlstand nimmt zu. Das bedeutet, dass viele Menschen ihre Essgewohnheiten verändern. Sie wollen mehr Fleisch, das gilt vor allem für China. Und womit füttert man die Tiere? Mit Getreide. Also werden die Preise zulegen. Die Chinesen wollen nicht zurück zu Reis und Weizen. Auch in Indien ändert sich das Essverhalten, dort sind immer mehr Hühnchenfleisch und Milchprodukte gefragt. Dieser Trend gilt übrigens auch für süße Speisen und Süßwaren, also sind mehr Zucker und Kakao nötig."
Ziel kann es für die Kapitalanleger nicht sein, den allzu destruktiven und bei genauerer Betrachtung nur  suboptimal hedonistischen Ernährungsstil des fortgeschrittenen kapitalistischen Konsums zu reformieren. Stattdessen gilt es für das Kapital den demonstrativ verschwenderischen Konsum mittels "aufklärender" Marketingstrategien weiter zu verbreiten. Es ist schon schwer, hier nicht an den "Verblendungszusammenhang" der kritischen Kulturtheorie zu denken.

Klar ist auch: Es wird damit gerechnet, dass sich das Problem der Ernährung der Weltgesellschaft noch verschärfen wird:
 "Der Großteil des Geldes geht zwar immer noch in die Edelmetalle und den Energiesektor. Doch Agrarrohstoffe werden immer beliebter. Die Zahl der Rohstoff-Fonds nimmt zu. Wenn sie börsengehandelte Indexfonds (Exchange Traded Funds, ETF) kaufen, setzen die Anleger auf steigende Preise."

Nur wenn die Güter knapp werden - ob auf quasi-natürliche (durch steigende Nachfrage durch Bevölkerungswachstum bzw. geänderte Konsumgewohnheiten) oder auf extra-künstliche Weise (durch absichtliche Zurückhaltung, Verdrängung durch expansive Landwirtschaft oder Verödung von Anbauflächen) verknappt - lohnt sich für Anleger mit großem Kapitalvermögen die Investition in Agrarrohstoffe. Für den Hunger ist die leider viel zu hohe Nachfrage verantwortlich - und natürlich das Wetter.

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Das komplette Interview hier:
http://www.faz.net/aktuell/finanzen/devisen-rohstoffe/im-gespraech-kona-haque-macquarie-die-preise-fuer-agrarrohstoffe-geraten-unter-druck-11695373.html

Zum demonstrativen Konsum:
Veblen, T. (2007 [1899]): Die Theorie der feinen Leute: Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Frankfurt a. M.

Zum demonstrativen Konsum, zu dessen Genuss dem Konsumenten die Zeit fehlt:
Lindner, S. B. (1969): Harried Leisure Class. Columbia.

Der kritische Agrarbericht 2012: 
Der kritische Agrarbericht. Daten, Berichte, Hintergründe, Positionen zur Agrardebatte. Hamm.

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