Mittwoch, Dezember 06, 2006

(66) Schemabildung (LRM20)

"Vergessen macht frei." (Niklas Luhmann, RdM S. 193)

Ein System, dass Operation an Operation anschließt muss bei diesem anschließen ständig mitbedenken, was in den vorausgegangen Operationszusammenhängen an Wissen produziert worden ist und wie dieses Wissen als Struktur auf weitere Operationen wirkt. Dieses erinnerte Wissen kann man mit dem Begriff des Gedächtnis beschreiben.

Aber das triffe den Begriff des Gedächtnisses nur zu Hälfte. Das dieses kummulierte Wissen schnelle eine solche Fülle annehmen würde, dass es zu einer Totalblockade allen operierens kommen würde wollte man sich jedesmal an alles erinnern und es in vergleichende Beziehung setzen, so liegt die mindestens genauso wichtige zweite Funktion des Gedächtnisses im Vergessen.

Damit Erinnern und Vergessen nicht beliebig abläuft, werden Schemata gebildet. Diese erinnern das System selektiv daran, wie es durch eine bestimmte Vergangenheit in seinen gegenwärtigen Zustand gelangt ist und ermöglichen dem System gerade die Auswahl von Möglichkeiten bezüglich frei wählbaren Verhaltens. Denn nur wenn es überhaupt eine irgendwie vorstrukturierte Beschränkungen gibt, kann selbstgesteuerte Flexibilität möglich sein - sonst käme es nur zu einem "irgendwohin getrieben werden".

Schemata sind n i c h t die letztlich vollzogenen Operationen sondern liefern lediglich Regeln für deren Vollziehen, wobei gerade an den etablierten Schemata entlang dann Abweichung auffällt und angebracht ist. Schemata verändern sich im autopoietisch rekursiven Prozess.

Ein Sonderfall des Schema ist das Skript. Hier werden bestimmte Abläufe in Bezug auf zu beobachtende Kausalabläufe festgehalten (bspw. Einpacken von Waren in den Einkaufswagen --> Zahlen an der Kasse --> erst jetzt: verlassen des Supermarktes). Das Skript rechnet bestimmte Wirkungen auf bestimmte Handlungen zu, d.h. Sach- und Zeitschema werden eng aneinander gekoppelt.

Die strukturelle Kopplung zwischen massenmedialer Kommunikation und psychischen Systemen läuft vermutlich auf der Basis des zirkulären Gebrauchs solcher Schemata. Massenmediale Verständlichkeit und das Verstehen von Massenmedien erzeugt sich gegenseitig. Erst der massenmediale Konsum schafft Schemata in der Psyche, an die sich die Massenmedien dann wieder in ihrer Anwendung beziehen.

Hier geht es nicht um Manipulationsunterstellungen, denn die operative Geschlossenheit psychischer Systeme ermöglicht zwar einen structural drift und die Beschleunigung von Strukturänderungen, da sie zwar das Gedächtnis des Individuums strukturieren, sein Handeln aber nicht festlegen können. Zustimmung und Abweichung können bei hoher Themenfluktuation erreicht werden. Es ist sogar zu erwarten, dass die abweichende Identitätsinszenierung von Individuen zunimmt. Die Selbstschematisierung wird durch die Auseinandersetzung mit virtuellen Angeboten (wozu auch Theater oder Bilder bzw. bildliche Texte (Romane) zählen) angekurbelt, da das Individuum sich als sowohl ausgeschlossen - im Sinne "das bin nicht ICH der da agiert - und gleichzeitig eingeschlossen - im Sinne von "es handelt sich um Individuum wie mich, die dort agieren - wahrnimmt. Ohne Zeitverlust muss zwischen diesen beiden Seiten oszilliert und somit die eigene Identität sowohl aufgelöst, als auch rekombiniert werden.

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