Mittwoch, Juli 26, 2006

(60) Die Konstruktion der Realität I (LRM15)

Der radikale Konstruktivismus als Erkenntnisprogramm systemtheoretischer Forschung führt die Beobachtung der Wirklichkeit weg von theologischen und posttheologischen Theorien, die einen objektiven oder zumindest subjektiven Gegenstand außerhalb der Forschung annahmen, auf den sich selbige beziehen müsse und verweist statt dessen, als Ausgangspunkt von Berechnungen der Beobachtung von Realität auf eine systeminterne Konstruktion: das Systemgedächtnis.

Wenn es jetzt aber keine (zumindest irgendwie bestimmbares) seiendes Wahres gibt, dass das Wirkliche ist (vgl."Post 4"), woher kommt dann die sozialverbindliche Weltkenntnis der modernen Gesellschaft? Auf jeden Fall eher aus den Massenmedien, als aus der Wissenschaft.



Aber welche Realität erzeugen die Massenmedien? Welche Selektionen finden statt, wenn Weltbilder produziert werden? Wie werden im Medium der Kausalität, Ursache-Wirkungs-Verhältnisse geformt, die dann als Ausschnitte aus einer überkomplexen Welt, als Kausalschemata gelten?

Massenmedien stellen ihre Berichte gerne in einen, anscheinend nicht mehr weiter aufschlüsselbaren Faktenbezug. Da dieser aber oft genug verkürzt und verknappt und offensichtlich (min.) einen blinden Fleck mitführt, werden auch Emotionen, Appelle und Proteste erzeugt. Mit Michel Houellebecq könnte man sagen, letztlich läuft es darauf hinaus, dass wenn einem nichts mehr einfällt, man immer noch mit den Menschenrechten kommen kann.

Der ständige Bezug von Kommunikation auf Sinnzusammenhänge, führt dazu, dass Kommunikation den Sinn den sie mitführt, letztlich nie völlig entscheidend auf entweder konkrete Information oder, auf der anderen Seite, auf die mitgeführte Mitteilungsabsicht aufteilen kann. Und zwar weil wenn die aktuelle Kommunikation vorangegangene Kommunikation reflektiert, sie erstens eine vergangene Operation beobachtet und das heißt gegenwärtig eine Vergangenheitsvorstellung erzeugt, und zweitens im gleichen Dilemma festsitzt wie die beobachtete Kommunikation. Auch hier ist wieder nur unscharf klar was Information und was Mitteilungsabsicht ist. Was also Manipulation ist und was nicht, kann letztlich nicht eindeutig entschieden werden.

[Es läuft also wieder einmal darauf hinaus, dass Unsicheres mit Unsicherem kompensiert wird und dass kann eigentlich nur zu Verunsicherung führen. Wir haben hier eine Theorie, die versucht mit Unsicherheit zu arbeiten und nicht, die Geschichte der Unsicherheit in eine Form der Sicherheit zu verwandeln - allerhöchstens vielleicht in einem Medium der Unsicherheit (locker gekoppelt, dauerhaft stabil) Formen der Sicherheit (feste gekoppelt, permanent instabil) zu generieren, was aber lediglich das Medium der Unsicherheit reproduziert. Anm. D.K.]

Im Bereich der Nachrichten werden Probleme die Lösungen erfordern, die zu Problemen führen die Lösungen erfordern usw. mittels Brüchen auf der Zeit- und Sozialachse der Selbstbeobachtung der Gesellschaft erzeugt, wobei vorzugsweise Konflikte und Diskontinuitäten ins Blickfeld geraten. So kommt einem die Ges. furchtbar unruhig vor - solange man sich informiert - und sobald man in der sog. 1.Realität ist stellt man dann fest, dass doch vieles für die Alltagswahrnehmung sehr dauerhaft und wiederkehrend ist.

Wir schauen aber weiter in die Zeitung oder "in die Röhre" und stellen fest, dass zwischen aktuellem und potentiellem Zustand unterschieden wird. Über moralisierende Kommunikation, wird der Unruhefaktor noch verdoppelt. Es ist so wie es ist - aber es müsste anders sein.

Unterhaltung und Werbung sind ebenfalls doppelt beunruhigend. Zunächst wird in der Werbung über Neuigkeiten informiert, um dann im zweiten Schritt ein Gefühl zu erzeugen, bei dem der eigene Status quo des Zuschauers in ein Vergleichsverhältnis mit unendlich vielen anderen Möglichkeiten gestellt wird, wobei recht schnell der Eindruck entstehen muss, dass meiste "Schöne und Gute" / " Sex" findet woanders statt (allerdings gilt das für die andere Hälfte: "& Crime" auch).


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